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Channel: Dmitri Tcherniakov – Brugs Klassiker
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Tod als Inszenierung: Dmitri Tcherniakov zeigt in Zürich Janáčeks „Die Sache Makropulos“ – mit Schlusspfiff

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Ein inszeniertes Sterben. Um nichts anderes geht es in Leoš Janáčeks dreiaktiger, aber nur 100 Minuten langer vorletzter Oper „Die Sache Makropulos“ von 1926. Nach seinen realistisch anmutenden Frauenschicksalen versucht er es hier mit einer surrealen Tragödie über eine 337 alte Dame, die jetzt den Tod sucht. Eine Sängerin, eine Drama Queen. Auch wenn sie eigentlich weiterleben wollte, die Formel, eben die Sache Makropulos wieder haben will. Am Ende merkt sie, dass sie als Alien durch eine Welt geistert, in der sie längst zum entfremdetes Fossil wurde. Das eben ist kein Dasein – und so beendet sie es. So wie dies auch die Darstellerin in eben jenem Stück tut, das hier als Reality Show nachgestellt wird. Sie kündet es schon zu Anfang an, während der wunderbare Jakub Hrusa bei seinem Zürcher Operndebüt die Fanfaren des Jüngsten Gerichts im Vorspiel stoßhaft schallen lässt und das Philharmonia Zürich zu schönster Farbigkeit und Glut anhält. Denn Dmitri Tcherniakov inszeniert natürlich nicht nur diese Oper, die beschwert ist durch einen unentwirrbaren, unerzählbaren, eigentlich auch nicht wichtigen, schon 100 Jahre währenden Erbschaftsstreit zwischen den Kombattanten Gregor und Prus. Entscheidend ist nur, dass sich jetzt Emilia Marty, die Frau mit den vielen E.M.-Namen, in die Geschichte einschaltet und als Katalysator diese und die eigene zu Ende bringt. Und deshalb sehen wir, noch bevor sich die Courtine hebt, in Tschechisch darauf projiziert einen Befund: Krebs, terminales Stadium. Überall Metastasen. Noch zwei Monate Lebenserwartung. Und was macht die Figur, zu der der über diese erschreckenden Zeilen fahrende, manikürte Finger gehört? Sie schreibt eine To-Do-Liste. „Papiere ordnen“, steht da drauf. „Wild leben“ folgt. Das streicht sie wieder durch. „Schauspieler engagieren“, kommt stattdessen. Und: „Kleid kaufen“. Das wird ersetzt durch „Besser 3 Kleider“.

Und dann hebt sich der Hänger. Wir sehen einen gutbürgerlichen Gründerzeitsalon in verblichenem Burgunderrot. Das könnte auch eines der kleineren Foyers des Opernhauses sein. Hinter dem Fenster bauscht sich Grün, ganz offensichtlich nur ein Video. Morgenstimmung, eine Frau ist nur von hinten in einem Sessel zu sehen. Tcherniakov spult all die juristischen Winkelzüge, das sich enger zusammenziehende Netz menschlicher Beziehungen mit der bei ihm gewohnten Brillanz in der Personenführung auf engstem Raum ab. Zu erleben ist ein konventionelles Wohnzimmerdrama, dicht und intensiv, aber auch fast zu comme il faut.

Nach und nach trudeln in den ersten zwei Akten – es gibt keine Verwandlung vom Anwaltsbüro in die Theatergarderobe – alle ein: der wuselige Kanzleivorsteher Vitek (beflissen: Kevin Conners), seine sängerinnenambitionierte Tochter Krista (kaugummikauend im Overall: Deniz Uzun) mit ihrem Boyfriend Janek (Hänfling mit Rastamütze: Spencer Lang). Der ist der Sohn von Jaroslav Prus (durchdringend, mit Weißhaar und Anzug in Stéphane-Lissner-Blau: Scott Hendricks), der gegen den jungen Albert Gregor (alerter Tenor-Youngster: Sam Furness) prozessiert. Als dessen Anwalt tritt der polternde Dr. Kolenaty (Tómas Tómasson) an. Dazu kommen noch der als der Tod im Rollstuhl einherfahrende Operettengreis Hauk-Schendorf (grotesk: Guy de Mey), der sich als Ex-Liebhaber Emilias outet sowie Theatermaschinist (Ruben Drole), Putzfrau (Irene Friedli) und Kammerzofe (Katja Ledoux).

Und irgendwann erhebt sich auch Emilia Marty aus dem Sessel und steigt flamboyant ins Geschehen ein. Evelyn Herlitzius hat die Rolle erstmals in Berlin gesungen, und jetzt, wo sie von den hochdramatischen Sopranrollen Abschied nimmt, ist dieses extrovertiert heilige Sängerinnenmonster, inspiriert von Janáčeks unerfüllter Liebe zu Kamila Stösslová, natürlich ihre Altersversorgung. Die enge Szene sprengt sie fast, auch ihr Vibrato hat sie gut im Griff, die metallische Stimme wird nie schrill. Und die schillernde Figur erfüllt sie spielend in all ihren abgründigen Facetten, gierig, egoman, alles an sich ziehend und verschlingend. Aber auch ein trauriges Kind, das immer wieder großäugig ins Leere starrt.

Die drei Kleider von Elena Zeytseva waren gut investiert. Erst trägt sie zu Mireille-Matthieu-Perücke (in Russland – „und draußen wartet Natascha“, „der Zar und das Mädchen“ – sehr populär) zu einem flammendorangen Pannesamt-Kostüm, ein roter und ein schwarzer Morgenmantel folgen. Schließlich ein vampirflügelhaft schwarzes Glitzerkleid und neue Haare – jetzt sieht sie aus wie die alte Promifregatte Gabriele Henkel – grandios! Nie kommt sie von der Bühne, es ist wirklich All about Emilia, und Bette-Davis-Eyes hat die Herlitzius zudem zu bieten.

Wunderbar dicht, kleinteilig, ohne je den melodischen Faden zu verlieren, als toller Motivaufdröseler und das feinmaschige Klanggespinst zusammenhaltender Motivator trägt im Graben Jakub Hrusa das Seine dazu bei, dass dieser Abend von einer exzeptionellen Spannung getragen wird, dass man atemlos zuhört und gebannt schaut, obwohl da eigentlich nur das „Makropulos“-Übliche passiert. Das aber klingt so bunt, fruchtig und plastisch erzählt, wirkt als perfekte Begleitmusik und bewahrt doch seine so eigenwillige instrumentale Selbstständigkeit.

Bis zum erwartbaren Tcherniakov-Coup, den sich der russische Dekonstruktivist diesmal bis ganz zum Schluss aufgehoben hat. Weil er freilich schon anfangs angekündigt wurde, lag man die ganze Zeit auf der Lauer: Was ist hier Spiel, was Wirklichkeit? Denn noch hält die Illusion, auch wenn im zweiten Akt links und rechts des Salons plötzlich Schlitze in den Wänden aufgehen und die nicht auf der Bühne beschäftigten Darsteller scheinbar privat auf ihre Auftritte wartend zeigend. Allerdings ebenfalls in Fluren, die Teile des Bühnenbilds sind.

Dann aber, Emilia hat die neuerliche Benutzung der Formel verweigert, sie will ihren Tod, da fahren die Kulissen weg, und wir sehen dahinter ein Fernsehstudio mit vollbesetzten Zuschauerreihen, das hier einem Live-Event beigewohnt hat, freilich ohne etwas zu sehen. Das war nur dem echten Auditorium vorbehalten. Jetzt aber, die Kameras rücken nah, die grellen Scheinwerfer zeigen alles unbarmherzig, darf Emilia mit große Geste ihre Todesszene zelebrieren. Verwirrung, der Notarzt rennt herbei, es ist nur noch der echte Exitus der Darstellerin zu konstatieren. Sie hat diese Aufführung  in aller Pathetik auch als ihr Lebensfinale gewählt. Wer aber ist sie? Wir wissen es nicht. Denn jetzt erhebt sich die echte Evelyn Herlitzius, um mit allen den tosenden Applaus entgegen zu nehmen.

Ja, es sind solche Zürcher Premieren, in diesem schönen, intimen Opernhaus, die diesem eben den ersten Oper! Award für das beste Haus 2019 eingebracht haben.

Der Beitrag Tod als Inszenierung: Dmitri Tcherniakov zeigt in Zürich Janáčeks „Die Sache Makropulos“ – mit Schlusspfiff erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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